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Die Augen der Bundeskanzlerin waren rund und groß wie die Untertassen. Kopfschüttelnd beäugte sie das Blatt Papier auf ihrem Schreibtisch und wiederholte:
- Das kann nicht wahr sein. Das kann doch nicht wahr sein. So was können sie doch nicht machen!
Die Gesichter der versammelte n Staatsmänner hatten einen vollkommenen "Keine-Ahnung-Ausdruck". Sie wurden alle wegen einer unaufschiebbaren Sache von großer Wichtigkeit herbestellt und erwarteten wenigsten einen kleinsten Hinweis auf den Charakter dieser brennenden Angelegenheit. Leider war das Kopfschütteln und die unüberhörbare Betroffenheit in der Stimme der Bundeskanzlerin relativ wenig erklärend, aber keiner wagte es, sie direkt nach dem Grund dieser so plötzlichen Ladung anzusprechen. Ungestellte Fragen hingen in der Luft wie ein schlechter Geruch. Schließlich war es die Bundeskanzlerin selbst, die sich für eine Erklärung entschieden hatte und verkündete:
Meine Herren, heute um 11 Uhr 20 habe ich den Botschafter von Lingeria empfangen. Er hat mir nicht mehr und nicht weniger als eine Kriegserklärung ausgehändigt. Ich bin zutiefst schockiert, ich weiß noch nicht, wie wir reagieren sollten und möchte ihre Meinungen dazu hören. Ich muss nicht betonen, dass die ganze Sache im Moment streng geheim bleiben muss. Kein hier gesagtes Wort darf diesen Raum verlassen.
Das geräumige Kabinett füllte sich vom Fußboden bis zur Decke mit dramatischem, Blut gerinnenden Schweigen. Die Versammelten blickten einander bewegungslos an. Niemand wollte als erster den Mund aufmachen, niemand wusste wirklich, was in solcher Lage zu sagen war. In erdrückender Stille hörte man nur ein unbekümmertes Summen einer an den Staatsaffären überhaupt nicht interessierten Fliege, die rund um die vornehme Köpfe ihre Pirouetten drehte. Schließlich landete sie auf der Stirn des Verteidigungsministers und fing an, sich die Flügelchen zu putzen. Der Minister kratzte sich instinktiv an der Stelle, wo die Fliegentoilette stattfand und wie aus dem tiefen Traum herausgerissen jammerte er:
- Lingeria? Aber... Aber sie haben mit uns keine gemeinsame Grenze! Sie sind... Sie sind einfach zu weit weg. Und außerdem, wie wollen sie diesen Krieg führen? Ihre Armee, ihre Waffen, das ist doch alles lächerlich! Ich habe noch nie etwas so absurdes gehört!
- Ich gebe Ihnen Recht – sagte Bundeskanzlerin – aber diese Tatsache, egal wie absurd, bleibt immer noch eine Tatsache. Die Kriegserklärung liegt hier auf diesem Schreibtisch und wartet auf unsere Reaktion.
- Können wir sie nicht einfach ignorieren? - fragte vorsichtig der Bundespräsident. – Wie der Herr Verteidigungsminister schon erwähnte, sind wir Lingeria militärisch so überlegen, dass wir keine Angst zu haben brauchen. Machen wir überhaupt nichts und die ganze Sache wird im Sande verlaufen.
- Unmöglich! – seufzte Bundeskanzlerin traurig – Die antideutschen Unruhen in Lingeria dauern schon die dritte Woche und nehmen kein Ende. Auch die benachbarten Länder sind langsam entrüstet. Sie werfen uns Arroganz, Neokolonialismus und Gott weiß was noch vor. Wenn wir jetzt noch die Kriegserklärung auf die leichte Schulter nehmen, werden wir ganz Afrika, vielleicht sogar die ganze dritte Welt gegen uns haben.
- Vergessen wir nicht, – fügte der Außenminister hinzu – um was es in dieser ganzen Geschichte geht. Um den Fußball! Wenn die Fans aus verschiedenen Ländern sich einmischen, können wir auf einmal im Angesicht des dritten Weltkriegs stehen!
Die Politiker schlugen die Augen zu Boden. Die Vorstellung von weltweit randalierenden, mit Atombomben bewaffneten Fußballfans war in der Tat erschütternd. Wer könnte wohl in solchem irrsinnigen, ansteigenden Chaos damit rechnen, die nächsten Wahlen zu gewinnen? Die Situation schrie förmlich nach Taten, auch wenn noch niemand wusste, nach welchen.
- Na gut, – unterbrach die Bundeskanzlerin ihre finstere Versonnenheit – ich muss sowieso noch ein paar diplomatische Gespräche führen, um zu wissen, wie die anderen NATO Länder dazu stehen. Wir treffen uns wieder in einer Stunde.
"Eine vernünftige Frau", dachte sich der Verteidigungsminister. "Auch in einer solchen verzwickten Lage möchte sie uns nicht um das Mittagsessen bringen."

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