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"Berliner Feigenblatt" war auf dem Pressemarkt vielleicht nicht so gut etabliert wie "Der Spiegel" oder die FAZ, es besaß aber eine Eigenschaft, die es für alle Weltverbesserer interessant machte: sein Chefredakteur, ein ehemaliger Hippie und Anhänger der 68-er Bewegung, war in punkto Weltverbesserung äußerst sensibel, um nicht zu sagen, total darauf fixiert. Sein Untergebener, der sich einen lokalen Prominenten wegen einem missbrauchten Kind, geschlossenen Betrieb oder ausgebeuteten Ausländer zum Feind machte, brauchte um seine Stelle nicht zu zittern, eher umgekehrt: Er wurde gelobt und belohnt und auf diesem Wege zur Entfaltung seines kritisches Potentials ermuntert. Das Feigenblatt, wie sein Chefredakteur zu sagen pflegte, war nur da, um abgerissen zu werden, damit Leser die Welt in ihrer grausamen Nacktheit sehen können. Kein Wunder also, dass Herr Gutmanns erste Wahl ausgerechnet auf diese verehrungswürdige Zeitschrift gefallen war. Die Tatsache, dass er die privaten Telefonnummern von fast allen Feigenblattredakteuren besaß, war hier auch nicht ganz ohne Bedeutung.
Samstagmittags klingelte das Telefon in der kleinen Single-Wohnung von Peter Wirbel, Redakteur des "Berliner Feigenblattes" seit zwei Jahren, in denen seine Aktien beim Chef konstant zu steigen schienen. Selbstverständlich war Nicht-ans-Telefon-gehen für einen jungen, ehrgeizigen Journalisten auch am Wochenende völlig undenkbar, und so konnte sich Herr Gutmann, ohne auf den Montag zu warten, seine Last von der Seele reden.
Peter Wirbel hörte zu, mit einer ernsthaften Miene. Ein Schwarzer in Deutschland von der Polizei verprügelt? Es war keine Lappalie, damit könnte man tagelang auf der Titelseite erscheinen und die Aktien beim Chef noch steigen lassen. Natürlich geht es in der ersten Linie um die Gerechtigkeit und Menschenwürde, ohne Zweifel, aber dass ein guter Journalist dabei profitieren würde, war doch keine Sünde... Er fand einen Kuli auf dem mit den Papieren bedeckten Tisch, und fing an zu notieren:
- Wie heißt der Geschädigte?... Assasa Mukubwa? Können Sie das buchstabieren?.... Dann fragen Sie ihre Schwägerin, ob sie es kann...Und wo ist er jetzt?...Was? Noch im Krankenhaus? Das heißt, wenn ich mich beeile, könnte ich heute noch mit ihm reden?...Ja...Nein, mit dem Auto...Er weiß nichts davon? Gut, ich habe verstanden... Ich brauche nur noch Ihre Adresse... Also, ungefähr in fünf Stunden ... Tschüss!
Peter Wirbel legte auf, streckte die Brust heraus, guckte in den Spiegel und sah einen Menschen, der für seine journalistische Pflicht alles opfert, sogar das Treffen mit der blonden...wie hieß die Kleine? Maria? Oder vielleicht Magdalena?..., das Abendessen mit ihr beim Italiener und den nicht auszuschließenden Beischlaf danach. Einen Menschen, der sich ohne Furcht in sein Auto setzt und die ganzen fünf Stunden in das fremde, ferne Bundesland reist, um seine Nächsten über das Böse in der Welt zu informieren...
Der würdige Nachfolger von Egon Kisch und Bob Woodward war geboren.

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