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Die beliebteste Kneipe in Hirnplatt war voller denn je. Verschwitzte Kellnerinnen versuchten vollgeladene Tabletts durch die Menge unversehrt zu transportieren. Aus den Riesenboxen über der Theke flossen wechselweise freudige und melancholische Töne der Volksmusik. Dartspieler in der tiefsten Ecke des Raums brachen bei jedem Treffer in ein irrsinniges Geschrei aus. Herr Gutmann konnte seinen alten Kumpel, den Bürgermeister, kaum hören, es störte ihn aber nicht besonders. Er brauchte keine Unterhaltung, er wollte nur den Heimatboden unter seinen Füßen spüren, den vertrauten Dialekt hören und eine Weile nicht an die leidende Welt denken.
Das Mopsgesicht, das seit einer Stunde nicht mal fünf Meter entfernt vor seinen Augen schwankte, erinnerte ihn vage an etwas, das er nicht genau verorten konnte. Diese Erinnerung war nicht angenehm, oh nein, sie war höchst irritierend, aber die richtige Assoziation kam ihm nicht in den Sinn.
- Wer ist der Kerl? – fragte er den Bürgermeister in einem glücklichen Moment, in dem die Wildecker Herzbuben den Wolfgang Petry noch nicht abgelöst hatten.
Ehe die Antwort kam, waren die Wildecker Herzbuben schon dran. Der Bürgermeister beugte sich zu seinem alten Freund und schrie direkt in sein Ohr:
- Unser Polizist! Ein toller Bursche!
Die richtige Assoziation traf Herrn Gutmann wie ein Blitz. Der kalte Novembertag, der gequälte Lingerianer... Und was ist daraus geworden? Gar nichts! Niemand wurde bestraft, niemand musste die Konsequenzen tragen. Von dieser Geschichte hatte er sich wirklich viel mehr erhofft. Seiner Karriere sollte sie einen Schub geben, sein Leben verändern. Und jetzt? Nicht, gar nichts, immer dieselbe Frau, dieselbe Schwägerin, dasselbe alte Gehalt. Wenn die Hungersnot in Simbabwe nicht da gewesen wäre, könnte man sich vor lauter Langeweile direkt erhängen! Zugegeben, er hätte sich an die Sache mehr dranhängen sollen, nachhacken, Druck ausüben, bohren, keine Ruhe geben. Wie hätte er aber die Zeit dafür finden können? Die Welt zu retten ist ein Vollzeitjob, da kann man sich nicht verzetteln.
In der Dartspielerecke fluchte jemand laut. Ein Mitspieler klopfte ihm auf die Schulter und rief ...
- Mensch, stell dich nicht so an! Man kann nicht immer gewinnen!
Ja! – dachte sich Herr Gutmann – Dabei sein ist alles!