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Die Unruhen in Lingeria dauerten schon eine Woche. Der Wind der Geschichte schaffte es schon, sowohl den Premierminister, wie auch den Außenminister von ihren Posten zu wehen, nur der Präsident blieb in seinem Palast unbewegt wie ein Fels in der Brandung. Auf den Regierungsgebäuden hingen riesengroße Portraits der Nationalspieler, über der Fußgängerzone brannte helllicht eine in aller Eile installierte Inschrift aus vielen kleinen Glühbirnen: "Fußball ist unser Leben". Zahlreiche Demos, die jeden Tag die Hauptstraße durchmarschierten, trugen Transparente mit kriegslustigen Parolen, von denen "Hände weg von unserem Fußball" oder "Nieder mit den Fußballschändern" noch zu den friedlichsten zählten.
Eine unaufhaltbare Welle der antideutschen und antieuropäischen Stimmung überflutete das Land. Der Präsident ordnete neue, immer radikalere Dekrete an. Das Bußgeld für das Aussprechen des Namens "Schweinsteiger" war noch halb so wild, weil dieser Name für einen halbwegs normalen Lingerianer sowieso unaussprechbar war. Viel schlimmer war die Sache mit Ballack, für den bis zu drei Monate Knast drohten. Laut nicht verifizierten Gerüchten wurde dieses Gesetz schon einmal angewendet, es handelte sich beim Bestraften um einen der deutschen Sprache mächtigen Lingerianer, der im Gespräch mit einem österreichischen Geschäftsmann "Ball – ach, es ist eine wunderbare Sache" gesagt haben soll. Seine wenig überzeugenden Rechtfertigungen, er hätte solche Schweinereien wie "Ballack" nie sagen können, hatten ihm seine Landsleute nicht abgekauft.
Die deutsche Botschaft war schon vor ein paar Tagen fast komplett evakuiert worden , nur noch der Botschafter und der Hubschrauberpilot schlichen ängstlich durch das menschenleere Gebäude. Von mehreren Personen bestehende revolutionäre Patrouillen, in der Umgangssprache "Wächter der Fußballreinheit" genannt, kontrollierten die Läden, die Lagerhäuser der Caritas und die Zelte humanitärer Organisationen auf der Suche nach den verbotenen Trikots von Borussia oder Kaiserslautern. Auf den öffentlichen Plätzen brannten mehr oder weniger gelungene Puppen, die abwechselnd Angela Merkel, Franz Beckenbauer oder Lukas Podolski darstellen sollten. Bestgehasst war natürlich die deutsche Fahne, die aber zur Zeit nirgendwo in Lingeria aufzutreiben war. Das aufgewühlte Volk verlangte von seiner Regierung die Einleitung entschlossener Schritte, was auch immer diese Schritte bedeuten würden.
Etwas musste passieren, das war sowohl dem Präsidenten, wie auch dem neu ernannten Premierminister Mujambo Oharara klar.

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