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Assasa konnte seine Gefühle nicht so richtig einordnen. Einerseits war das Krankenhaus nicht so schlimm – saubere Bettwäsche, Frühstück im Bett, reizende Krankenschwester und kein Perser, der blöde Fragen über seine kaputten Schuhe stellte. Andererseits war ihm diese Ruhe, diese allumfassende Sicherheit irgendwie zu viel. Er wollte nicht ruhig, sicher und versorgt sein. Er wollte zum Marktplatz rennen und in der Menschenmenge wie ein Wolf heulen, die Tamtams das Kriegeslied spielen lassen, mit seinen brennenden Augen die Feinde erschrecken, er war... Wütend, das war er. Hass und Rache kochten in ihm wie eine Hexensuppe. Und was konnte er machen? Nichts, außer auf seinem sauberen Bett sitzen und durch das sauber geputzte Fenster die Bäume rundum vom Parkplatz anstarren. Für einen Krieger war es wirklich beschämend!
Ein kleiner roter Wagen parkte direkt vor der Eingangstür. Zwei Männer, die aus dem Wagen ausgestiegen waren, schleppten große schwarze Taschen mit. Einer von ihnen redete etwas, gestikulierte schnell und schien sehr aufgeregt zu sein. Der andere nickte ab und zu, stellte langsame Schritte und ließ sich offensichtlich nicht aus der Ruhe bringen. Die Beiden marschierten zusammen ins Krankenhaus ein und verschwanden aus Assasas Sicht. Als er sie ein paar Minuten später sein Zimmer betreten sah, überlegte er immer noch, was sie wohl in ihren Taschen haben könnten.
Peter Wirbel brauchte nicht lange, um zur Sache zu komme, schließlich hatte ihm Herr Gutmann schon auf dem Weg zum Krankenhaus das Wichtigste erzählt, jetzt brauchte er den Artikel, der sich in seinem Kopf schon fast vollständig herauskristallisierte, nur durch die Aussage des Opfers zu ergänzen. Er kam auf das Bett zu, stellte sich und seinen Begleiter vor und fragte ohne überflüssige Zeremonien, ob Assasa bereit wäre, ihm ein Interview zu geben.
Assasas Deutsch war alles andere als perfekt. Er hatte ungefähr ein Viertel vom Gesagten verstanden und höchstens ein Achtel vom Gedachten konnte er ausdrücken. Während seiner Behördengänge hatte er sich allerdings eine ganz gut funktionierende Methode erarbeitet, die man so zusammenfassen könnte: Alles bejahen und nichts unterschreiben. Er sah keinen Grund, warum er diese Methode, die ihm schon oft so gute Dienste geleistet hat, nicht noch einmal verwenden sollte. Er war sich zwar nicht ganz sicher, was diese zwei von ihm wollten, sie machten aber einen ziemlich offiziellen Eindruck und mit solchen Leuten wollte er keinen Ärger haben. Also – alles bejahen, nichts unterschreiben.
Wenigstens hatte sich geklärt, was die zwei in den schwarzen Taschen hatten. Aufnahmegerät, Mikrofon, Kamera – alles schöne Spielzeuge, die Assasa, wie jeder echte Mann, zu schätzen und zu bewundern wusste. Er musste auch zugeben: Die Männer waren recht nett. Sie interessierten sich für sein gebrochenes Bein und für seinen verzweifelten, obwohl so erfolglosen Kampf mit den Polizisten. Was könnte in seinem emotionalen Zustand besser sein, als vor einem so dankbar zuhörenden Publikum sein Herz auszuschütten? Und so versuchte er, den Verlauf des verhängnisvollen Spiels mit Händen und Füssen zu schildern, worauf die Männer mit ernsthaften Mienen beistimmten und weitere nicht ganz verständliche, aber mit Sicherheit gut gemeinte Fragen stellten. Es war alles tausendmal besser als die Bäume anzustarren und vor hilfloser Wut zu kochen.
Peter Wirbel hatte schon genug Material. Er wollte nur noch eine entscheidende Sache von Assasa hören, damit sein Artikel höchst anklägerische Töne anstimmen konnte.
- Herr Mukubwa – erkundigte er sich– können Sie bestätigen, dass der Anlass zu diesem Vorfall nur Ihre Hautfarbe und Ihr Flüchtlingsstatus gegeben war? Dass die Polizisten Ihnen keineswegs irgendwelche Straftat oder irgendein Vergehen vorgeworfen haben, dass sie also keine selbst imaginative Ursache für solche Misshandlung gehabt haben und die beiden ausschließlich aus rassistischen Gründen handelten?
Assasa hatte den Eindruck, dass etwas nicht stimmte. Von welcher Strafe reden sie eigentlich? Das Wort war ihm im allgemeinen Sinne bekannt, er hatte aber keine Lust, mit ihm eine praktische Bekanntschaft zu machen. "Auf jeden Fall musst du dich verteidigen" – flüsterte ihm sein Bauch zu, und so entgegnete er mit aller Kraft:
- Ich keine Strafe. Keine Problem mit Polizei. Fußball Problem. Lingeria große Fußballnation, große Fußball spielen. Aber Polizei schlagen. Ich keine Chance, verstehen?
- Wollen Sie damit sagen – mischte sich verdutzter Herr Gutmann ein – dass Sie geschlagen wurden, weil Sie vor der Polizei die Überlegenheit des lingerianischen Fußballs behaupteten?
- Ja! – stimmte Assasa zu und grinste durchaus freundlich.

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