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Menschenrechtler und Weltverbesserer, Herr Gutmann, hatte von Zeit zu Zeit ein Bedürfnis, unter seinen Füßen den Heimatboden zu spüren, um sein nach jeder Konferenz über Sudan, Somalia oder Sierra Leone verletztes Weltbild wieder in Ordnung zu bringen. Die Gaststätte "Zur eisernen Hand" in der schönen Stadt Hirnplatt, Stadtteil Schwarzer Graben, war ein idealer Ort, um dieses Bedürfnis zu stillen. Und so saß Herr Gutmann am Freitagabendan der Theke in der Eisernen Hand, in der vornehmen Gesellschaft seiner angetrauten Ehefrau, ihrer Schwester, die auch Krankenschwester im örtlichen Krankenhaus war und seines alten Freundes aus dem Bolzplatz, der im Laufe der Zeit den in manchen Kreisen hoch angesehenen Posten des Bürgermeister von Hirnplatt erlangte.
Die angetraute Ehefrau war gerade bei der dritten Erdbeermargarita, weit hinter ihrer Schwester, die schon fünf Becher in sich hineingespült hatte, als der freie Barhocker hinter ihrem Rücken durch einen mopsgesichtigen Stöpsel besetzt wurde. Neben ihm sackte ein dicklicher, ferkelähnlicher Herr ab. Das Mopsgesicht zeigte dem Barmann zwei ausgestreckte Finger, quittierte den ekstatischen Ausruf "Kommt sofort" mit ausgelaugtem Nicken und ....
Zwei Pils landeten auf der Theke und vergoldeten den regnerischen Abend mit dem sanften Lichtschein. Schaumige Kragen umhüllten die Bierkrugränder, als ob sie den flüssigen Bernstein im Inneren vor dem ganzen Bösen der Welt beschützen wollten.
- Sag mal – sprach das Mopsgesicht zu dem Ferkelähnlichen etwas träumerisch – es hat heute Sauspaß gemacht, oder?
Der Ferkelähnliche zog ein schiefes Gesicht, trank einen Schluck Bier und zeigte vielsagend auf seine Wade:
- Das soll der Spaß sein? Ich weiß nicht, ob ich mir den Muskel nicht verzerrt habe!
- Heulsuse! – knurrte das Mopsgesicht – Soll ich dir die Tränen abwischen?
Aber die Erinnerung an den Nachmittag ließ ihn nicht lange in der Missachtung bleiben. Er fing wieder an:
- Die haben wir aber heute vorbildlich geschlagen! Dass die Knochen krachten! Na ja, man muss schon sagen, diese Schwarzen sind so was von ausdauernd... Ich hätte schon nach einer Stunde genug und die haben sich immer gewehrt!
Herr Gutmanns wachsames Ohr registrierte die Worte "Schwarze" und "geschlagen", noch bevor sein Bewusstsein dazu imstande war. Aber alles, was ab dem Moment gesagt wurde, hatte Herr Gutmanns sensibles Organ sehr sorgfaltig, mit der Genauigkeit eines Abhördienstes, durch die geschlängelten Korridore seiner im Alkohol getränkten Hirnrinde, bis zum sicheren Archiv seines Gedächtnisses abtransportiert .Das Mopsgesicht und der Ferkelähnliche waren, ohne es zu ahnen, geistig verwanzt und alles, was sie sagten, konnte gegen sie verwendet werden.
Der Ferkelähnliche dehnte den Mund zu einem selbstzufriedenen Lächeln aus, was ihn auf einmal wie eine Kröte aussehen ließ:
- Dafür, dass sie sich gewehrt haben, könnten wir sie eigentlich einsperren lassen. Aktiver Widerstand gegen die staatliche Gewalt, verstehst du? Aber sie im Arrest zu halten, macht viel weniger Spaß als ein echter Nahkampf, Mann gegen Mann. Die Stärkeren gewinnen, die Schwächeren verlieren!
Er hatte über seinen Witz ein lautes Gelächter angeschlagen, das sich wie eine Mischung aus Grunzen und Quaken anhörte.
Zum behaglich benebelten Gehirn von Herrn Gutmann drängte sich der ganze Horror der gerade gehörten Worten durch. Seine Imagination fing an, vor seinen geistigen Augen die grausamsten Bilder zu malen. Gebrochene Knochen! Ausgeschlagene Zähne! Verhärmte schwarze Antlitze! Gesetz des Dschungels, der Stärkere gewinnt, nieder mit der Gerechtigkeit, Tod der Demokratie! Aber das war noch nicht das Ende. Der Ferkelähnliche plapperte weiter:
- Der härteste von allen war aber dieser Lingerianer. Als ich ihn in letzter Minute ins Schienbein trat, es hat so geknackt, wie eine zerquetschte Colabüchse. Ich dachte, er würde nie im Leben allein aufstehen und stell dir vor, er hat sich nur wie ein Hund geschüttelt und humpelte weiter. Und wie frech hat er mich angeschnauzt! Dafür bezahlt man ihnen die Sprachkurse!
Infolge des gewaltigen Schocks strömte Herr Gutmann aus den Tiefen des im Überfluss konsumierten, gelegentlich im Rahmen des Lokalpatriotismus mit dem Fassbier verdünnten Whisky heraus. Seine Haare standen hoch, seine Hände zitterten. Natürlich war Ruanda viel schlimmer und Nelson Mandela wurde im Gefängnis auch nicht gerade wie eine Braut vor der Hochzeitsnacht behandelt, aber dass in seinem eigenen Land, in seinem Heimatort , im einundzwanzigsten Jahrhundert die schwarzen Menschen misshandelt, verprügelt und am Ende noch ausgelacht werden, so was konnte Herr Gutmann sogar im alkoholischen Vollrausch nicht überhören und nicht auf die leichte Schulter nehmen. Er musste etwas machen, auch wenn er im Moment nicht wüsste, was es eigentlich sein sollte.
Immer noch erschüttert beugte er sich zu seinem Freund, dem Bürgermeister und diskret auf den Mopsgesicht und den Ferkelähnlichen deutend, fragt er:
- Wer sind diese zwei Kerle, kennst du sie?
Der Bürgermeister richtete die Brille, die schon fast zum Ende seiner umfangreichen, knollenartigen Nase rutschte, musterte die zwei gerade gezeigten Individuen und entgegnete:
- Klar kenne ich sie. Es sind unsere Polizisten. Der kleine ist aus dem Drogendezernat und der ältere ist der Bezirksoberkommissar. Beide sehr gute Jungs, schwer in Ordnung. Was willste von denen?
"Na warte, mit deinen guten Jungs" – dachte sich Herr Gutmann, der in der Sache Menschenrechte keinen Freund, keinen Bruder und keine mildernde Umstände kannte. Es war alles noch schlimmer, als er dachte. Wächter der Gesetzlichkeit! Leute, die für das Respektieren der Menschenwürde, wie es im Grundgesetz steht, die Verantwortung tragen sollen, begehen die abscheulichsten Taten und protzen noch damit in der Öffentlichkeit! Eine kurze Weile spielte er mit Gedanken, die beiden jetzt, sofort, vor der ganzen Kneipe bloß zu stellen, aber nein, es wäre eine zu milde Strafe für solche Übeltäter. Morgen, wenn sie zur Besinnung kommen, werden sie ein blaues Wunder erleben! Außerdem wollte er die Vögel nicht zu früh verscheuchen, er brauchte noch mehr Details. Also winkte er nur mit der Hand, nahm einen uninteressierten Gesichtsausdruck an und sagte gleichgültig:
- Ach, nichts, hab´ nur so gefragt.

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